Für Max kommt die Diagnose Leukämie völlig unerwartet. Er hat seine ganz persönliche Geschichte mit uns geteilt und möchte anderen Betroffenen und deren Angehörigen damit Mut machen, sich nicht vom Blutkrebs kleinkriegen zu lassen. In seinem SWR-Podcast “Land of infusion” verarbeitet er sein Erleben rund um den Blutkrebs.
Den Link dazu gibt es unter Max’ Geschichte.
Es ist ein Moment, den ich wahrscheinlich mein ganzes Leben lang nicht vergessen werde. Das leise Vibrieren meines Smartphones, der Name meiner Hausärztin auf dem Display. Es ist das Intro meines ganz persönlichen Horrorfilms.
Innerhalb von wenigen Minuten verändert dieser Anruf mein komplettes Leben. Eben sitze ich noch mitten in einer Videokonferenz meines Jobs. Eine halbe Stunde später befinde ich mich in der Notaufnahme des Krankenhauses. Verdachtsdiagnose: Akute Leukämie.
Leukämie mit 34?
Hi, ich bin Max und im April 2021 wurde bei mir Blutkrebs festgestellt. Krebs? Mit damals 34? Als Nichtraucher und Vegetarier, der ab und zu mal Alkohol trinkt? Na, danke für nichts. Aber ab Tag 1 war mir klar: Es gibt keine Alternative als diesem blöden Krebs mit einem Roundhouse-Kick feierlich in seinen Hintern zu treten. Dass dafür eine einjährige Reise in die Hölle und wieder zurück nötig sein wird, ist mir da aber noch nicht klar.
Während ich in der Notaufnahme auf weitere Untersuchungen warte, ist meine Gefühlswelt ambivalent. Auf der einen Seite hoffe ich natürlich, dass ein Arzt reinkommt, sich für den Messfehler entschuldigt und mich wieder nach Hause schickt. Auf der anderen Seite spüre ich, dass das richtig große Sche**e ist, die da gerade passiert. Und trotzdem tut sich in mir eine seltsame Motivation auf, frei nach dem Motto: „Gut, dann gehen wir das jetzt an und werden wieder gesund“. Ich habe natürlich nicht mal ansatzweise eine Vermutung, was in den nächsten Wochen und Monaten auf mich zukommen wird.
Wenn Sodbrennen dein Leben rettet
Angefangen hat bei mir alles mit Sodbrennen. Über mehrere Wochen, wenn nicht gar Monate, beschäftigt mich der saure Geschmack im Mund und das Brennen hinter der Brust. Ich renne zu verschiedenen Ärzten, bringe eine Magenspiegelung hinter mich, aber trotz Tabletten bekomme ich die nervigen Symptome nicht in den Griff und merke, wie sehr sie mittlerweile auch meinen ganzen Körper beschäftigen.
Auch wenn ich heute weiß, dass es keinen Zusammenhang mit der Leukämieerkrankung gibt, rettet mir ein letzter Versuch, das Sodbrennen in den Griff zu bekommen, vielleicht das Leben. Ich bitte meine Hausärztin noch mal um ein Blutbild, damit ein Zusammenhang mit der Schilddrüse ausgeschlossen werden kann. Dieses Blutbild ist der Grund, warum meine Hausärztin meinen Videocall unterbricht.
Rückblickend hätte mir aber auch ohne diesen Anruf klar sein müssen, dass hier alle Lampen gerade dunkelrot leuchten. Am Wochenende zuvor bringen mich schon kleinste Belastungen außer Atem, ich wache nachts klatschnass auf und muss regelmäßig das Schlafshirt wechseln. Und am Tag der Diagnose schaffe ich es nicht mal, WhatsApp-Sprachnachrichten zu schicken, weil ich nicht ausreichend Luft dafür habe und immer wieder abbrechen muss. Trotzdem bin ich so im Tunnel, dass ich nicht von selbst draufkomme, dass es 5 vor 12 ist.
Der Krebs bekommt einen Namen:
T-akute lymphoblastische Leukämie
Nach einer Nacht im städtischen Krankenhaus werde ich direkt nach Heidelberg verlegt. Rückblickend die beste Entscheidung für mich, Heidelberg ist schließlich das Mekka, wenn es um Krebserkrankungen geht und ich werde sehr schnell zu schätzen wissen, welche Profis hier am Werk sind. In den ersten Tagen werde ich durchleuchtet als wäre ich Drogenboss El Chapo persönlich.
Sie finden nichts Illegales, dafür aber eine gesicherte „T-akute lymphoblastische Leukämie“, kurz T-ALL. Und noch während ich versuche, diese Diagnose richtig auszusprechen, geht’s schon los und die ersten Chemos sprudeln durch meinen Körper.
Kurz darauf bemerke ich, wie ich mir die Haare büschelweise vom Kopf reißen kann. Die Schwesternschülerin kommt mit dem Trimmgerät und ein paar Minuten trage ich meine neue Frisur.
Die Glatze, liebevoll VoKuHiKu genannt („vorne-kurz-hinten-kurz“), wird mich über die nächsten Monate begleiten. Das letzte Büschel Haare klebe ich mir in mein Notizbuch, in dem ich Gedanken und Momente festhalte. Ehrlicherweise bin ich eher belustigt als betrübt – zumindest fürs erste.
David gegen Goliath: mit Humor gegen die Leukämie
Dieser Humor ist es auch, der mich die Therapie durchstehen lässt. Natürlich zehre ich auch sehr stark von der Unterstützung meiner Partnerin, meiner Familie und einiger, enger Freundinnen und Freunde. Gerade in solchen Momenten, in denen im wahrsten Sinne „Schluss mit lustig“ ist.
Aber immer wieder schaffe ich es, mir mit kleinen Anekdoten den Tag zu erhellen. Ich verschicke ein Bild meiner ersten Chemotherapie mit den Worten „O’zapft is“ in diverse WhatsApp-Gruppen. Oder auch die Frage, ob ich mir die Antibiotikumstablette nicht eigentlich sparen könne, nachdem ich mittags das Geschnetzelte gegessen habe (die vegetarische Lebensweise musste ich recht schnell aufgeben, surprise surprise).
Manchmal sind es aber auch meine Zimmernachbarn, die mich erheitern. Nicht, weil sie besonders lustig sind, sondern weil ich mit Menschen zusammengeschmissen werde, mit denen ich im realen Leben wahrscheinlich kein Bier trinken gegangen wäre. Aber die Begrüßung meines wirklich anstrengendsten Zimmernachbarn toppt bis heute niemand: „Und, woran verreckst Du?“
Alles ist besser als kampflos aufzugeben
Mir ist völlig klar, dass nicht jeder und jede sich mit Humor trösten kann. Um ehrlich zu sein, ist es auch eher Galgenhumor in einer absolut beschissenen Situation. Im Nachhinein betrachtet, würde ich sagen, dass ich mir meiner wirklich lebensgefährlichen Lage schon bewusst war. Mitnichten saß ich da auch jeden Tag mit nem flotten Spruch auf den Lippen im Krankenbett. Es gibt Tage, an die habe ich keinerlei Erinnerung, weil mich die Schmerzen in den Wahnsinn getrieben oder Medikamente mich dermaßen weggeballert haben, dass ich um mich herum nichts mitbekommen habe. Aber ich will jede und jeden Betroffene*n ermutigen, sich seinen Weg zu suchen, mit der Krankheit umzugehen. Alles ist besser als sich kampflos dieser miesen Bestie Krebs hinzugeben.
Psychologische Unterstützung als Anker während der Behandlung
Mir persönlich hat auch die psychologische Unterstützung im Krankenhaus dabei geholfen, mit den ganz schlimmen Momenten klarzukommen. Meine Zimmernachbarn haben das fast immer abgelehnt. Wer das nicht will, kann, braucht – fair enough. Aber bitte lehnt es nicht aus Schamgründen ab. „Du hast Krebs, Du darfst alles“ –hat mal ein sehr guter Freund von mir während der Therapie gesagt. Und er hat so recht.
Dieser Freund war es im Übrigen auch, der mir ein kleines schwarzes Notizbuch geschickt hat. Es war und ist mein ständiger Begleiter während der Leukämieerkrankung. Es erinnert mich an die vielen, schlimmen Momente und kann mir im Alltag zeigen, dass es sich nicht lohnt über Kleinigkeiten aufzuregen angesichts der wirklich schlimmen Erfahrungen, die ich hatte. Es erinnert mich aber auch an die schönen Momente und die Erkenntnisse, die ich während dieser langen Zeit im Krankenhaus gewonnen habe. Insbesondere an den Moment, an dem ich nach der vorerst letzten, stationären Therapie endlich wieder zu Hause angekommen bin. Aber es erinnert mich ganz allgemein auch daran, dass wir in unserem hektischen Alltag viel zu wenig ein gesundes Leben wertschätzen.
„Land of infusion“ – mein Podcast über die Leukämie
Dieses kleine schwarze Buch ist zudem die Grundlage meines ersten, eigenen Podcast, den ich zusammen mit dem SWR produziert habe. In „Land of infusion – meine Reise durch die Chemotherapie“ begleitet ihr mich über neun Folgen vom Moment der Diagnose bis hin zum Ende meiner stationären Therapie.
Er ist vor allem während meiner Reha entstanden, er hat mir sicher auch noch mal bei der Verarbeitung der Krankheit geholfen und er hat sich zum Ziel gesetzt, allen Menschen mit dem gleichen Schicksal Mut und Kraft zu schenken, diesen Kampf anzunehmen.
Der Podcast soll aber auch zeigen, wie wichtig es ist, sich als potentielle*r Stammzellspender*in zu registrieren, wenngleich ich selbst diese Spende nicht gebraucht habe. Und er soll auch der Familie, Partner*innen und Freund*innen helfen, mit so einer schweren Diagnose im engeren Umfeld klarzukommen.
„Land of infusion – meine Reise durch die Chemotherapie“ findet ihr in der ARD Audiothek und überall, wo’s Podcasts gibt.
Wir helfen Menschen mit Blutkrebserkrankungen, so wie Max.
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